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Editorial

Im vergangenen Jahr hatte das Journalist*innenkollektiv Correctiv mit seinen Recherchen über Treffen rechtsextremer Kreise gleich mehrfach für Schlagzeilen gesorgt. Zunächst mit der Enthüllung „Geheimplan gegen Deutschland“ über das Treffen hochrangiger AfD-Politiker*innen mit Neonazis und finanzstarken Unternehmern in einem Potsdamer Hotel, bei dem sie die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland planten. Dann mit dem Bericht über ein Treffen prominenter Rechter im Bundestag auf Einladung des AfD-Politikers Matthias Helferich. Und schließlich über das Treffen von AfD-Funktionär*innen mit Neonazis in der Schweiz. Dies sind nur einige Beispiele aus der langen Liste von Veranstaltungen, die die extreme Rechte im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren oder womöglich Jahrzehnten ausgerichtet hat, um zu diskutieren und sich auszutauschen. Mögen diese Veranstaltungen zunächst noch vereinzelt, unkoordiniert und im Verborgenen stattgefunden haben, ist mittlerweile allen klar, dass sich rechte Parteien, Stiftungen und Medien ganz gezielt vernetzen und dabei immer offensiver auftreten.
Das deutsche rechtsextreme Gemisch braut sich keineswegs nur aus nationalen Säften. Verbindungslinien lassen sich sowohl über Ideologie- als auch über Ländergrenzen hinweg ausmachen: von evangelikalen Hardlinern in den USA über autoritäre Marktradikale in Lateinamerika bis hin zu Neonazis in Deutschland.

Wo alle von der „Neuen Rechten“ reden, schauen wir genau hin. Sicher, es gibt neue Entwicklungen. Die Dynamiken sozialer Medien zum Beispiel, die den rechten Hass befeuern. Oder die geschickte Inszenierung von Milei, Trump und Bukele als „Anti-Politiker“ – obwohl sie selbst von unternehmerischen, religiösen und politischen Netzwerken profitieren oder sogar von ihnen aufgebaut wurden. Was aber nicht neu ist, ist die Zusammenarbeit zwischen lateinamerikanischer und europäischer Rechter. Die hat Geschichte – vor allem seit 1945. Wir diskutieren, welche Verbindungen wirklich neu und welche historisch gewachsen sind, welche Rolle familiäre und militärische Verbindungen spielen.

Wie zuletzt in der Zeit der Militärdiktaturen in den 1970er-Jahren ist Lateinamerika heute wieder zum Versuchslabor der internationalen Rechten geworden. In Argentinien wird unter Präsident Javier Milei eine extrem aggressive Spielart des Kapitalismus, die eine ultra-neoliberale Agenda mit einer Repressionswelle gegen soziale Bewegungen und Arme verknüpft, durchgesetzt. Dafür gilt er Rechten als Vorbild – auch in westlichen Ländern. So forderte Christian Lindner (FDP) vor einiger Zeit, man solle „mehr Milei und Musk wagen“. El Salvador ist unter Präsident Nayib Bukele hingegen zum Experimentierfeld autoritärer Sicherheitspolitik und für die Auslagerung des Strafvollzugs westlicher Staaten, wie zum Beispiel der USA, geworden, bei massiver Repression und zunehmender Entrechtung der salvadorianischen Bevölkerung.

So viele Unterschiede es zwischen konservativen Unternehmer*innen, rechten Parteien, religiösen Hardlinern und faschistischen Gruppen gibt – zusammengeschweißt werden sie durch ihren Hass auf Frauen, Migrant*innen, Arme und Minderheiten. Für ihren Kampf gegen „Ideologien“ „des Egalitarismus, des Klimaschutzes, des Feminismus, der Abtreibungsbefürworter, der LGBTIQ-Lobby und des Multikulturalismus“, wie es der Vox-Europaabgeordnete Hermann Tertsch schrieb, verwenden sie dabei keine eindimensionalen Strategien, sondern setzen auf unterschiedliche Vernetzungsplattformen von Parteien, Stiftungen und Einzelpersonen.

Warum wir uns in so frustrierende Gefilde begeben? Weil wir wissen wollen, wer gegen uns arbeitet: Namen und Strukturen. Denn darin liegt eine Hoffnung. Die Hoffnung, dass organisierte Antifaschist*innen diese Informationen zu nutzen wissen. Und die Hoffnung, dass uns allen klar wird, dass wir nur gemeinsam dieses immer dichter werdende autoritäre Spinnennetz zerreißen werden können.

Inhaltsübersicht

Aktuelles

4 Im Fieberwahn
Warum ist ein peruanischer Papst so wichtig für Peru?
von Raúl Asensio

6 Rechter Sieg – linke Debatten
Nach der Wahl in Ecuador wird erbittert gestritten
von Frank Braßel

7 Das war ein erzwungenes Abkommen
Interview mit dem Historiker Pablo Ospina Peralta
von Frank Braßel

8 Sexistische Gewalt ist ein Kontinuum
Nicaragua: Interview mit der französischen Soziologin Delphine Lacombe
von Barbara Lucas und Edith Otero

10 CIA „light“
Was passiert, wenn USAID und NED nicht mehr auf Cuba aktiv sind?
von Andreas Hesse

Dossier Rechte Netzwerke

12 Der Traum vom iberischen Weltreich
Spaniens Rechtsextreme und die reaktionäre Welle in Lateinamerika
von Miguel Urbán

15 Fake News und Mediendominanz
Wie rechte Netzwerke zum Scheitern der fortschrittlichen Verfassung Chiles beitrugen
von Ute Löhning

18 CPAC goes global
Vom Jahrestreffen rechter US-Republikaner zum internationalen Treffpunkt der extremen Rechten
von Ute Löhning

20 Aus Liebe Nazis retten
Historikerin Linda Erker im Interview über Fluchthilfe für Nazis nach Lateinamerika
von Anna Brünner

22 Argentinien als Labor
Wer Milei über Jahre aufgebaut hat
von Frederic Schnatterer

24 Rechts heult nie allein
Eduardo, Bannon und die rechtsextreme Solidarität
Ein Kommentar von Luiz Ramalho

26 Christlich mit Krone
Wer die Kontakte zwischen brasilianischer, US-amerikanischer und deutscher Rechten knüpft
von Andrea Dip

28 Das Vaterland zuerst
Rechtsradikale Kontinuitäten im uruguayischen Militär
von Wolfgang Ecker

31 Exportschlager Repression
Wie das „Modell Bukele“ zum Vorbild für rechte Sicherheitspolitik wurde
von Jana Flörchinger

34 Gefängnisse für alle
Costa Ricas Kuschelkurs mit El Salvador gefährdet Frauen- und LGBT-Rechte
von Peggy Chamorro und Soledad Díaz Pastén

36 Als ich aufwachte, war der Marquis nicht mehr da
Der peruanische Autor und Politiker Mario Vargas Llosa war ein literarischer Netzwerker der Rechten
von Walter Lingán

Kultur

39 Kaiserin, Altnazi und Frieda Kahlos Papa
Was vom Abenteuer übrig blieb: Michi Strausfelds neues Buch untersucht deutsches Wirken in Lateinamerika
von Klaus Jetz

40 Weg mit dem neoliberalen Neokolonialismus!
Manuel Pérez Rochas Kolumnen über Handelspolitik als (digitales) Buch
von Gaby Küppers

42 Vergeltung und Nostalgie
Ein Coming-of-Age-Roman über die brasilianische Militärdiktatur und die erste große Liebe
von Fabio Freiberg

43 Geniales Sammelsurium
Pluriversum: ein Lexikon des Guten Lebens für alle
von Alix Arnold

44 An vorderster Front
Neuer Doppelsampler von Lucha Amada feiert Fermin Muguruza
von Britt Weyde

45 Die Redaktion liest…
Wofür es keinen Namen gibt

Solidaritätsbewegung

46 Kartoffel-Stories …
Zuhause
von Daniela Berrío Domínguez, Colectiva Borregas Moradas

46 Notizen aus der Bewegung / Impressum

Titelbild: Matt und Mercedes Schlapp auf dem CPAC Argentina 2024 (Siehe S. 18).
Foto: Ute Löhning

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Die andere Sicht aus und über Lateinamerika – zu Wirtschaft, Politik, Kultur und sozialem Engagement.

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